Die freie Liebe war die feministische Version der Kritik an der Familie (Carla Lonzi, 1970)
und kann als Befreiungsprojekt nicht von einem Mann in einer Machtstellung, sei er genialischer Künstler, indischer Guru oder Revolutionär in Gang gebracht werden. Freie Liebe beinhaltet die Liebe der Frauen, Lesben, Transvestiten und Transpersonen, ihre Solidarität und Verbundenheit untereinander und den Drang, die Kraft der Autonomie gemeinsam ins Leben zu bringen. Durch diese Linse die Vergangenheit der Kommune um Otto Muehl, um die es im folgenden Text geht, in ihrer emanzipatorischen Verfehlung zu untersuchen, zeigt, wie in der über ca. 20 Jahre existierenden Kommunepraxis die Frauen an dem sich dort in besonderer Weise entwickelten patriarchalen Verhältnis mitwirkten. Da aber lediglich die Kategorie Schuld und deren Inwertsetzung seit 30 Jahren die Dominante in der öffentlichen Aufarbeitung der Kommune ist, bleiben die wertvollen Erkenntnisse, die sich jenseits dieses Postens in Richtung einer Befreiung bewegen, aus. Es gibt keine Sehnsucht nach emanzipatorischem Verstehen und deswegen gibt es, außer im Privaten, auch keine Versöhnung.
Patriarchat und Kunst - Die Grosse Geste
Das Bild entstand auf der Basis eines Fotos, auf dem ich vor einem von Otto Muehl gemalten Gemälde, das in meinem damaligen Zimmer hing und das einen grossen, wild gemalten Vogel enthält, zu sehen bin. Der Vogel schwebt auf diesem Foto über und hinter meinem Kopf, als sei er ein Teil von mir. Das regte mich dazu an, dieses Foto als Basis für ein Bild zu nehmen, in dem ich Bezug nehme zur "grossen Geste", einem zentralen Aspekt der Kunst in der von dem Wiener Aktionisten Otto Muehl gegründeten Kommune, der natürlich auch auf mich während meiner dortigen Zeit grossen Einfluss hatte. Der Begriff Kommune wird von vielen zu Recht in Zweifel gezogen, da die hier besprochene Lebensform eine autoritäre Entwicklung nahm. Allerdings verwenden wir auch den Begriff Kommunismus, der nach dem Scheitern der sozialistischen Gesellschaften des 20. Jh. in Entwicklung bleibt.
Heute nehme ich die Grosse Geste als Ausgangspunkt einer Aufarbeitung der Zeit meiner Jugend, die ins Erwachsensein überging und eine längere Lehrzeit der Kunst in der besagten Kommune war. Der jahrelange tägliche Unterricht in Aktzeichnen und Malerei, in Kunstgeschichte und -theorie bildete tatsächlich eine umfassende informelle und nicht institutionelle Kunstausbildung, lehrreich jedenfalls für diejenigen, die nach dem alternativlosen und direktiven Charakter dieser Zeit später das Gelernte als Ressource verstehen konnten, um einen eigenen Weg zu finden. Von da aus nehme ich Bezug auf das patriarchale Verhältnis, das der Kommune zugrunde lag und sich im Laufe der Zeit zugespitzt hat. Dazu muss ich wieder eintauchen und das tiefgreifende Durchwirktwordensein von männlicher Herrschaft und Gewaltigkeit neu vergegenwärtigen, aufschreiben und hoffentlich: transformieren.
In den 1970er Jahren, als wir in die Kommune zogen, ich und viele andere, war es zuerst eine Energie der Befreiung, die dort sprühte, ein Freiwerden ungeahnter Kräfte im Tanz, in Spontaneität und Ekstase in der Selbstdarstellung zwischen hunderten anderen. OM im Gefolge seiner coolen Crew, Frauen, ihre Kinder auf dem Rücken tragend, wogten abends in den SD-Saal, sie erschienen mir wie Götter und Göttinnen. Wir, die jungen eingezogenen, haben uns nicht mit Machtfragen auseinandergesetzt, obwohl wir voller Bewunderung waren. Vor allem war ich erstmal im Schutz vor einer Welt, der ich gerade entkommen war, denn mit 17 war ich ausgeliefert und musste fliehen vor der Freiwilderei toxischer männlicher Gewalt. Das hörte in der Kommune erstmal auf.
Ich war ohne Vater aufgewachsen und hatte außerdem in der frühen Jugend durch den Stiefvater Gewalt und Mißbrauch erfahren, was mich von der Mutter wegtrieb. Ich sage das nur deswegen, weil es relevant ist für Trauma, Scheitern und Verwirrung. Viele, die in diesem spezifischen Lebenszusammenhang gelebt haben, begannen erst Jahre danach, eigene Missbrauchserfahrungen, die sie in der Kindheit und Jugend traumatisiert hatten, zuzulassen und darüber zu sprechen. In den 70er Jahren gab es dafür keinen Rahmen und das Thema war noch nicht in aller Munde. Gleichzeitig haben wir uns mit der eigenen Mitverantwortung für Muehl's verheerende Übergriffe auseinandergesetzt und fanden uns in einem von sexuellem und Machtmißbrauch gesättigtem Miasma wieder, das, zumindest bei mir im Nachhinein den Blick auf die patriarchalen Gewaltverhältnisse in der kapitalistischen Weltgesellschaft weit geöffnet und dauerhaft fokussiert hat. Da die Kommune als Ganzes von denen, die dort lebten oder geboren wurden, aber als eine Insel, als ein anderes der Gesellschaft verstanden wird, emanzipatorisches Denken nicht stattfindet und Bezüge zu Gewalt und Herrschaft nicht gemacht werden, kann es nicht zu Erkenntnissen kommen, die sich jenseits von Moral und Tätervorwürfen an alles und jede, die dort mal waren, ohne "unschuldig hineingeboren" zu sein, richten. Ich halte die Erfahrungen aller Menschen in dieser Phase für spannend und aufschlussreich und lehne die pauschale Unterscheidung in Täter*innen und Opfer auf der Ebene von "eingezogen = Täter", "hineingeboren = Opfer" als Mindset der Hineingeborenen im Bannkreis der seit 30 Jahren ständig neu aufgelegten Schuldzuweisung mit Geldforderungen ab. Andererseits muss ich vielleicht einsehen: Wird auf diese Weise zwar jede vielfältige und ehrliche, bereichernde und transformierende Aufarbeitung unmöglich gemacht, so scheint dies nun einmal das erbärmliche Erbe einer an Macht, Personenkult und Unterwerfung gescheiterten Kommune zu sein.
Während der Befreiung, die wir am Friedrichshof zu Beginn in den 1970er Jahren erlebten, haben wir das Grundproblem, dass da ein Gründer ist, ein „Gestalter“, nicht gewagt, in Frage zu stellen. Das, was Muehl prpoagierte, ein Zusammenleben ohne die Unterdrückung der Kleinfamilie, haben wir nicht wirklich erforscht und auch nicht selbstkritisch als Prozess verstanden. Obwohl das klassische Männer - Frauenmodell des Haushaltes, das von den Feminist*innen der 1970er Jahre als Bestandteil der kapitalistischen Produktion analysiert wurde, in der Kommune zugleich mit dem Gemeinschaftseigentum abgeschafft war, blieb der Geist des Patriarchalen in der Rolle des Gründers erhalten und trieb seine Blüten auf andere Weise. Die Kommune war in ihrer gesamten Versorgung von den Ressourcen der Gesellschaft abhängig, war also als Ganzes gewissermassen eine reproduktive Sphäre an sich, da das Geld "draußen" verdient wurde. Diesen Gedanken möchte ich in einem späteren Text genauer verfolgen. Hier geht es vor allem um die Kunst in der Kommune und wie sich die Macht des Gründers in ihrem Zusammenhang stabiliert hatte.
Überwindung von Gewalt in Gruppen wäre ein laufender Prozess des Arbeitens gewesen, der Kollektivität. Ein gemeinsames Aufspüren der in unsere Körper eingeschriebenen tausende Jahre alten Muster und Gewaltverhältnisse, die uns hierher, also an den Ort und die Zeit der angenommenen Befreiung gebracht haben. Was kann eine „befreite“ Sexualität sein, in der die historisch einzementierte Geschichte der Vaterherrschaft nicht thematisiert wird. Heute liegt dies alles auf dem Tisch, damals wirkte es ungefragt mit. Im Gründen einer verbindlichen wirklichen Kommune wäre Herrschaftskritik die Grundfrage gewesen. Wir hätten uns auch fragen müssen, wie wir als menschliche Wesen uns gegenseitig unterwerfen, beeindrucken, einschüchtern, ausschliessen, einschliessen, bewerten, vergleichen und unterscheiden, wie wir Macht ausüben und die anderen damit oft in unscheinbarsten encounters zur Ressource für das eigene soziale Kapital machen. Die eigene Teilhaberschaft an neoliberalem Selbstimprovement und Konkurrenzverhalten wird heute wieder von neuem auch in emanzipatorischen Kreisen thematisiert.
Das transnationale Kollektiv der Frauen*, der antikapitalistische, antipatriarchale Feminismus (nicht derjenige „Feminismus“, in dem Frauen* nach Status, Macht und Kapital streben) ist für mich die überzeugendste Praxis, die die untereinander verschränkten Kolonien der Ausbeutung analysiert und in gemeinsamen Kämpfen ins Visier nimmt, auf dessen Spur ich nochmal ins Vergangene hinabsteigen kann.
Macht war immer da, von Anfang an und setzte sich fort, entwickelte sich. Die Kunst in der Kommune erhielt einen machtvollen normativen Überbau durch ein mythisch aufgeladenes Ideal des "guten Künstlers, Zeichners, Malers", das Muehl als Künstler und Gründer der Kommune verkörperte. Es ging um den die Künstler*in, die durch Lernen den Strich und die Handschrift entwickelt, um mit authentischer kraftvoller Strichführung die Körperlichkeit des Modells „locker“ und „meisterhaft“ auf das Papier zu bringen. Das Kunstwerk schien eine vollendete Zusammenkunft von Natur (Modell, Landschaft) und der Schöpferkraft des Geistes, bestehend aus Bewegung, Ekstase, Gefühl und Beherrschung der Gesetze der Bildfläche, zu versprechen. Das war das Thema, das mich trug. Die Künstler*in, die lernt, diese Gesetze rhythmisch aus der Bewegung heraus in Form zu wandeln und so vitale Spontaneität mit den Anforderungen der Fläche und Farbe zu vereinen. Ich war elektrisiert und strebte nach dieser Kombination von Kraft, Energie und Form. Es war aber, so denke ich, gerade diese Kombination aus dem "beeindruckenden", Mauern einreißenden Künstler und Aktionisten und dem Gründer der Kommune, dass es am Ende in der Komplexität von Kunst, Selbstdarstellung, Sexualität, Hierarchie und Zusammenleben einen Patriarchen gab, der erst richtig aufblühen konnte.
Ist dieses ganze Können, das Werfen und (durchaus genußvolle) rhythmische Aufbringen der Farbe, das in Elemente, so wie es hiess, „aufgelöste“ Sujet, das meiner Bildgestaltung Impulse gibt, aber als Subjekt selbst kaum mehr zählt als als seine Konstruktion, Körperbau, Kontur - als Objekt, das ich mir zunutze mache zur Verwirklichung meiner eigenen Kraft, meines eigenen Könnens und Rhythmus', zur kunstvollen Schaffung einer gestalteten Bildfläche nicht auch eine grosse Geste der Ermächtigung? Den Gegenstand des Bildes „in die Fläche zu bannen“, ihn geradezu aufzuspannen, war natürlich nicht Muehls Idee, doch er führte es in seiner Lehre auf bestimmte Weise weiter. Jede Figur seiner Bilder trägt am Ende den Ausdruck von nichts anderem als seiner Person, seiner Vorstellung von Frau, Mensch, Tier usw., in der Kunst natürlich völlig legitim, aber einer Betrachtung wert. Es ist sicher eine kunsttheoretische Fragestellung, die mit einem einfachen Gegenüberstellen nicht getan ist, doch: Wie verstehe ich im Vergleich dazu z.B. ein Werk, das mir als erstes in Bezug auf das „Objekt“, wie Muehl es nannte (nicht "Sujet"), einfällt, welches mir hier als imaginiertes, malerisch in Bild gesetztes Wesen, das in seiner ganzen Geschichte und Einzigartigkeit zählt, begegnet: Ich denke an den RAF-Zyklus von Gerhard Richter. Die Bilder von Gudrun Ensslin z.B. haben Zeit, Geschichte, Raum, kollektive Erinnerung und die Anwesenheit einer zeitgeschichtlichen und kontrovers gelesenen Person, sie tragen den Widerspruch zur politischen Gewalt- und Militanzfrage in sich und doch schimmert dahinter zugleich ein Geheimnis, und der Blick ruht lange darauf.
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Das Malen anhand der Fotografie zugleich ein Hineinversetzen, ein Umsetzen, ein Dialog mit der anderen, der geschichtlichen Person da auf der Leinwand, ich denke, da entsteht eine Ebene der Anwesenheit, für die es weniger Worte gibt als es bei der Begegnung mit dem Gemälde erstmal zu belassen. Gemälde, die mich zutiefst berührten, als ich in den 90er Jahren plötzlich im Bonner Kunstmuseum vor diesen Bildern stand.
Jener sich in entwickeltem Können umgesetzte künstlerische Ausdruck, so glaubte Muehl, beziehe sich nicht allein auf ein gelungenes Werk, sondern bedeute die ganze Künstlerperson gleich mit. Hier lag natürlich ein Problem. Ein „grosser Künstler“ sei auch als Mensch so unfehlbar wie sein Werk, habe außerordentliche Charaktereigenschaften (Charakter) und ja, universale Fähigkeiten. Dies findet sich auch im Sprechen über den Menschen wieder. Es ging um Größe und besondere Qualität. Es entstand ganz und gar eine Sphäre, die vom europäischen männlichen Genius des 18. und 19. Jahrhunderts und einem Kult um das Meister-Schüler*innen-Verhältnis in der Kommune geprägt war.
Mit Muehls Rolle als Wiener Aktionist und Gründer der Kommune bekam dieses Denken eine mächtige Funktion. Die grosse Geste wurde zur Herrschaftsgeste und ein schwacher Strich unter dem Prinzip der edlen künstlerischen Handschrift zu einem sozialen Problem. Mit einer sich gewaltig und zentral gebenden, Tabus einreissenden männlichen "Schöpferkraft" wurde die Kunst in der Kommune zu einem Motor des sich mehr und mehr zuspitzenden patriarchalen Verhältnisses.
Geprägt durch eine auf jahrtausendealter männlicher Dominanz aufgebauten Gesellschaft, haben wir übersehen, wie wir inmitten des radikalen Aufbrechens aller möglichen Tabus uns live durchwirken liessen, wie also die Kommune noch eins draufgab, aber in Frage gestellt habe ich es nicht. So haben wir womöglich sogar zusätzlich noch durch die Kunst, die unseren Alltag über die Zeit mehr und mehr in Gesprächen, in Lernen und Praxis durchwirkte, mithilfe des von uns laienhaft unangefochten Erhabenen in der Kunst diese verdammte Vaterherrschaft noch festgeschrieben.
Bei Otto Muehl war ich in tiefe menschliche Abgründe hinabgestiegen, ungewollt hinabgezogen, gesunken, denn es hat mein Leben mich schon mit 17 ausgerechnet in die Sphäre dieses österreichischen Patriarchen gezogen, was an sich schon ein Trauma für sich ist, zum jähen Schrecken meiner preußischen Familie. Ich wollte eigentlich nur in die Kommune einziehen, von Muehl nichts wissend. Doch der tauchte plötzlich auf und die Jahre zeigten mir, dass ich in der „karmischen“ Begegnung mit diesem Menschen nichts als lernen musste.
Nach Jahren einer traumatischen Jugend, überfordert von dem täglichen Freiwerden starker emotionaler Energien in den Selbstdarstellungen, blieb mir nur ein körperliches und seelisches Durchdrungenwerden von äußerer Macht und Energie, dem ich mich aussetzte ohne es zu verstehen. Die Malerei kam da für mich wie ein kleiner Anker der Farben und des Ausblicks, von violett gegen gelb, ersten rhythmischen Malversuchen, die etwas anderes in mir berührten, das wichtig wurde. Aber das habe ich alles garnicht so bemerkt. Das ganze Geschehen überwältigte uns und wir hatten Mühe genug, alles erlebte zu verarbeiten. Schwere tägliche Arbeit in der Großküche tat mir gut. Um 5 stand ich auf und ging alleine über den morgigen Friedrichshof, als alles noch schlief, da war alles ruhig, grau, und eine Mystik lag in der Luft. Ich wusch die Riesenmilchkannen und kochte, ich weiss nicht wieviele, waren es 150 oder 300 Eier. Das war 1979.
Alles sprühte nur so von Körperlichkeit und Selbstbewusstsein, das mir völlig fehlte. Wenn ich an die vielen Frauen denke, die in ihrer Kraft um mich und mächtig waren. Aber sie waren nicht solidarisch, sondern wetteiferten um den King. Die Macht der Frauen setzten sie ein, um selbst das Patriarchat zu untermauern und zu stärken.
Was die Sexualität betrifft, so fällt es mir schwer darüber zu reden. Jedenfalls kann ich von mir nicht von einer Befreiung sprechen, ich denke vielmehr, dass wir alle notwendigen Fragen nicht gestellt haben und ich denke nicht, dass ich irgendwas gelernt habe, was sich schon daran zeigt, dass die eigene Mißbrauchserfahrung erst lange nach dieser Lebensphase langsam aus der Verdrängung herauskam.
So faszinierend es oft für mich war, als junge Lernende der Kunst den Gesprächen Muehls zuzuhören, und wenn du mal ins Archiv gehst und so manches nachlesen kannst, wirst du vielleicht das eine oder andere nachvollziehen können, so folgenschwer war, denken wir nur an denselben Künstler, der später in seinem patriarchalen Hochmut nach der Unschuld der Mädchen griff, war die mit diesem Denken verbundene Herrschaft des „genialen“ europäischen Geistes, der, nicht zu vergessen, in der kolonialen Wissenshegemonie des transatlantischen Aufstiegs überhaupt erst entstanden war. Aber davon hatte ich damals noch keine Ahnung. Ich war mit 17 auf der Flucht vor vielem, das mich damals verfolgte, eingezogen und lebte dort in nichts anderem als dieser Sphäre.
Das gestische Malen war mir sehr nah und entsprach meiner Konstitution. Die Fläche war der Ort des Geschehens, der Ort der Malerei. Raum in der Kunst hatte für mich später eine eigene, neue und bereichernde Geschichte, die nach dieser langen Phase der Fläche alles öffnete, aber das wäre ein anderes Kapitel. Tatsächlich bot diese Fläche ein raum- und zeitloses Universum des Malens, das mir in der Phase, die 1978 begann, unendlich schien, das mich der Wirklichkeit entreissen konnte, mich über die erlebte Kraft des Malens für Momente irgendwie befreite. Diese augenblickliche Wildheit zugleich durch das Mass der ordnenden Bildgesetze zu steuern, war das Lernziel, oder nennen wir es einfach der Forschungsgegenstand, eine Symbiose der Methoden der beiden von Muehl bevorzugten Maler Paul Cézanne und Vincent van Gogh innerhalb eines Bildes zu erreichen – und war das, sofern es einigermassen gelang, das mich damals packte und zur Kunst brachte. So war es, so habe ich es erlebt. Und wenn ich das heute schreibe, war da bisher der Drang, diese Lehre von ihrem normativen sozialen und patriarchalen Überbau zu trennen, der sich in der Praxis besonders für die vielen, die zum Beispiel einfach keinen Bock zu malen hatten, so schmerzvoll gebildet hatte. Doch nun weiss ich garnicht mehr, ob da überhaupt etwas zu trennen ist.
In den weiteren Jahren entwickelten sich Kunst und Herrschaft in einem Zuge. Und Otto stob mit noch größerer Geste über Riesenleinwände, warf Farben und Pinsel mit Macht und noch mehr Macht zu fetten Landschaften und ich war schwer beeindruckt und hielt es für "große" Kunst.
Und heute können wir es drehen und wenden wie wir wollen. Es bleibt uns Scherben auflesen, in kleine Bruchstücke zusammensetzen und von neuem und wieder feststellen: diese sogenannte Kommune war ein durch und durch von der persönlichen Energie, der Gewaltigkeit seiner Art des Schaffens und den Vorstellungen des Otto Muehl durchwirktes, ja geprägtes soziales Gebilde. Sicher Abstufungen, aber das wäre mal so eine Grundfeste, die sich nicht eliminieren lässt. Viele versuchen zu unterscheiden: „Es gab auch Gutes“, aber diese Frage stelle ich nicht, und ebenso will ich nichts „vernichten“, sondern lediglich bewältigen.
Denn woran es mir gelegen ist, ist, dass diese verdammte Welt von der elenden Herrschaft und Ausbeutung, den Todesschwadronen rassistischer kolonialer imperialer kapitalistischer Weltaufteilung befreit wird. Umso politischer wird meine Vergangenheit und dass ich sie erinnern und verarbeiten kann. Wenn wir es am eigenen Leibe in dieser Deutlichkeit so erleben wie ungewollt in der „Kommune“: Ist es nicht eine Chance, es durch einen Prozess des Schreibens ganz neu zu verstehen?
Mit dem Ende der erbarmungslosen Hierarchie in der Kommune, dem „Teil eines großen hierarchischen Ganzen sein“, also der Kontrolle über deine eigene Selbstbewegung an das Ganze abgegeben haben war es nicht vorbei, sondern ich konnte diese Dinge, als ich dann in der Düsseldorfer Kunstszene Fuss fasste, wo es noch recht gemütlich zuging, die Kolleg*innen waren respektvoll und hedonistisch und wie alle Künstler*innen Scheitern gewöhnt, es gab nichts um das gekämpft werden musste in einer reichen Stadt, die Off-Kunsträume fördert, nun also, ich konnte diese Dinge dann nach und nach mehr und mehr kennenlernen in den unerwartetsten Schattierungen:
Ich wurde hin und hergerissen zwischen der Freiheit autonomer Anarchist*innen, denen es ernst zu sein schien und andererseits den Mikroaggressionen und den Ignoranzen von Gruppen, denen ihr Aktionslabel wichtiger sein kann als die Verbindung unterschiedlichster Kräfte, bis zu den wirklichen Problemen, wie zum Beispiel das der grausamen Gewalt an den europäischen Außengrenzen. Hier nur ein kleiner Satz, dort tägliches Trauma und Tod. Dies sind die Themen meiner heutigen Arbeit. Mag es in aktivistischen Gruppen auch manchmal widersprüchlich zugehen, so geht es dort dennoch um essentielle Gewaltverhältnisse, die unseren Welten zugrundeliegen, es geht um die Kämpfe, im besten Falle um soziale Revolution, um Herrschaftskritik und ja, es geht zumindest thematisch um die anderen. Dem stellen wir uns, auch wenn wir immer wieder aneinander scheitern.
Anstatt die Verwerfungen und Häßlichkeiten dieser „Kommune“ als einen abgeschlossenen Koloss, ein Myom des Falschen (im Richtigen?) zu verstehen, sehe ich in ihr vielmehr eine verzerrte, extreme Mikro-Eigenart patriarchaler Macht und Unterwerfung mit all den bekannten Spielarten der Beteiligungen, die nach ihrem und dann Muehls Ende weiterhin und wie gehabt in Form der von militarisierter Männlichkeit angeführten Welt sich bekriegender Nationalstaaten nach wie vor besteht, womit auch die rücksichtslose, totale Zerstörung der Natur weitergeht. Wird diese sogenannte Kommune Friedrichshof nicht in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet, um die eigene Teilhaberschaft gesellschaftlich zu untersuchen, dann drehen wir uns für immer und einen Tag im Kreise der Schuldzuweisung. Diese Verhältnisse sind aber sehr kompliziert. Es gibt unwiderruflich eine Unschuld gegenüber dem Täter. Aber die Frage ist, ob sie verwertbar ist. Für mich ist es zentral, zu fragen, wie wir beginnen können, die Gewalt und Mikrogewalt an den anderen, das heisst die persönliche „Nutzung“ ihrer Kraft, ihrer Schuld, ihrer Verfehlungen, ihrer guten Beziehungen, ihres Status, ihrer Schwäche, zu thematisieren, um anders zusammenzukommen: nicht-extraktivistische Beziehungsweisen zu entwickeln. In der Praxis bedeutet das, die anderen zu beachten, mich in sie hineinzuversetzen und dies als grundlegenden emanzipatorischen Akt zu verstehen.
© Susanne Fasbender
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